Wir können uns mit Holz aus der Klimakrise bauen, erklären Experten. Dabei sei Bauen mit Holz keine Option, sondern ein Muss, sagen manche von ihnen und finden Gehör bei einer jungen Generation, die auch beim Thema Bauen und Wohnen nachhaltig in die Zukunft gehen will. Building Information Modeling ist dabei ein Tool, das diese Entwicklung beschleunigen könnte.
„Zu mir kommen Studenten in die Sprechstunde, die haben oft gar kein konkretes Anliegen, die wollen einfach nur über Holzbau reden“, erzählt Jochen Stahl, Gastprofessor für Innovation im Holzbau an der Universität Stuttgart 1). Dass sein Nachname schon für den einen oder anderen Witz unter den Studenten sorgte, ist bei seinem Fachgebiet kein Wunder, doch wenn Stahl über Holz redet, hängen ihm die jungen Leute an den Lippen.
„Einige sind Überzeugungstäter“, erzählt der Professor. „Das sind Leute, die sagen: ,Ich bin Veganer, fahre kein Auto und habe einen bewussten Lebensstil. Da passt es nicht, mit Stahl und Beton zu planen, ich will lieber den Holzbau lernen.‘“2)
„,Kann man das auch in Holz bauen?' Diese Frage wird mir jetzt immer häufiger gestellt“ Dr. Jochen Stahl, Holzbauprofessor & Tragwerksplaner bei Fast+Epp
Seit zwei Jahren sei ein Umdenken zu spüren, was den Baustoff Holz angeht, meint Dr. Stahl, der auch Geschäftsführer eines Ingenieursbüros für Tragwerksplanung ist. Früher musste er darum kämpfen, eine Kita in Holzbauweise zu errichten, und allzuoft wurde ein Stahlbetonbau daraus. „Jetzt wird mir häufiger die Frage gestellt: Kann man das auch in Holz bauen? Wie kürzlich bei einem Verwaltungsgebäude, das eigentlich in Stahlbeton gebaut werden sollte. Wir haben das dann innerhalb von vier Wochen in Holz umgeplant.“3)
Einer, der die ökologischen Vorteile des Baustoffs Holz seit Jahren anpreist, ist „Klimapapst“ Hans Joachim Schellnhuber, der bis 2018 Chef beim Institut für Klimafolgenforschung in Potsdam war. „Durch Errichten, Nutzen und Rückbau von Konstrukten ist der Bausektor für rund 40 Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich“, benennt Schellnhuber den Klimawandel-Verursacher Nummer1. „Etwa 11 Prozent der globalen Emissionen gehen direkt aufs Konto der Betonproduktion.“4)
Durch eine „Materialrevolution, die im Städtebau Zement und Stahl durch Holz ersetzt“, könne doppelter Nutzen für die Klimastabilisierung erzielt werden. „Erstens kann sie Treibhausgasemissionen aus der Zement- und Stahlproduktion vermeiden. Zweitens kann sie Gebäude in eine Kohlenstoffsenke verwandeln, da im Bauholz das von den Bäumen zuvor aus der Luft aufgenommene und in ihren Stämmen eingelagerte CO2 gespeichert wird“, heiß es in einer Studie, an der Schellnhuber beteiligt war.5)
Wohnen in der Co2-Senke – ein Ziel, das sich auch die Architects-for-future-Bewegung auf die Fahnen geschrieben hat, die eine nachhaltige Wende von allen Aktiven der Baubranche einfordern. Es sei in den letzten Jahren an allen Ecken und Enden geforscht worden, „sodass schon heute sehr viel getan werden kann, um Energie und Ressourcen einzusparen“. Man habe Architects for Future gegründet, „um diesen enormen Einfluss der Baubranche aufzuzeigen, sodass alle Beteiligten endlich Verantwortung übernehmen“.6)
Erwin Thoma, 70, hat diese Verantwortung übernommen, schon von Anfang an seiner Karriere. Der ehemalige Förster und gelernte Zimmermann hat mit seinem Unternehmen weltweit mehr als 2.000 Holzhäuser gebaut. Kürzlich realisierte der Österreicher aus Goldegg, der als Pionier der modernen Holzbauwirtschaft gilt, das „Holzpalais Wilder Mann“ in Dresden. Komplett aus dem nachwachsenden Rohstoff.
In dem sehenswerten Film „But Beautiful“ von Regisseur und Autor Erwin Wagenhofer wird u.a. Holzbauer Erwin Thoma (Bild oben) toll porträtiert.
Holz100 heißt seine patentierte Bauweise. „Anstelle belastender Leime und Metalle werden Häuser als massive Holzhüllen, praktisch setzungsfrei und winddicht gebaut.“ Als Verbindungsmaterial dienen „über Jahrtausende bewährte Holzdübel, die in richtiger Stärke und Anzahl die einzelnen Holzlagen zu unverwüstlichen Massivholzblöcken verbinden“. Wenn ein Gebäude in 100 oder 200 Jahren wieder abgebaut wird, könne man die Dübel herausbohren und das Holz wiederverwenden.7)
„Wenn ich in einem Holzhaus schlafe, erspare ich mir im Vergleich zu einem Steinhaus jede Nacht die Arbeit des Herzens von einer Stunde.“ Erwin Thoma, Holzbau-Pionier & Inhaber der Holzbaufirma „Thoma“
„Natur, Wald und der Baustoff Holz im gebauten Raum ist der gesündeste Aufenthaltsraum des Menschen“, betont Thoma den gesundheitlichen Aspekt. „Wenn ich in das Holzhaus reingehe, kann jeder Arzt innerhalb kürzester Zeit physiologische Veränderungen im Körper messen. Wenn ich in so einem Holzhaus schlafe, erspare ich mir im Vergleich zu einem Steinhaus jede Nacht die Arbeit des Herzens von einer Stunde.“8)
Spricht also alles für Holz als Baustoff der Zukunft?
Teuer ist der Rohstoff geworden. Preissteigerungen von bis zu 300 Prozent im vergangenen Jahr machten Holz unattraktiv fürs Bauen, wenn es überhaupt zu haben war. Von vielen Seiten ist zu hören, dass es sich um ein vorübergehendes Phänomen handelt, das mit der enormen Nachfrage in Amerika zu tun hat. Klaus Dunkel von den Landesforsten Rheinland-Pfalz prognostiziert jedoch weiter steigende Holzpreise.9)
Dass da was dran sein könnte, glaubt die Hamburger Immobiliengesellschaft Alstria Office, die kürzlich 200 Hektar Wald in Brandenburg kaufte. Das Management gehe von einer deutlich steigenden Holznachfrage in den kommenden Jahren aus und man erwarte gleichzeitig, dass das Angebot begrenzt sein werde. Und Alstria will weiter zukaufen, „um die zukünftige Handlungsfähigkeit des Unternehmens zu sichern“.10)
Die einen kaufen Wald, die anderen wollen ihn schützen. Tobias Wohlleben von der Waldakademie Wohlleben fordert, große Teile der Waldflächen ganz in Ruhe zu lassen, sodass wieder mehr Mischwälder in Deutschland wachsen können. Monokulturen mit Fichte, die am meisten von der Holzindustrie verarbeitet wird, würden den Wald insgesamt anfällig machen. „Am besten wäre eine CO2-Steuer auf Holz. Wer Holz erntet, zahlt eine Abgabe in Höhe des entnommenen Kohlenstoffs. Und wer Wald wachsen lässt, erhält entsprechende Gelder“, schlägt Wohlleben vor.11)
„Holz kann viel, aber nicht alles, und es wird immer Bereiche geben, in denen Beton nur schwer zu ersetzen ist. Die Zukunft wird nachhaltig hybrid sein“, sagt Michael Meuter, Mediensprecher von Lignum, der Dachorganisation der Schweizer Wald- und Holzwirtschaft. „Wichtig ist für das Klima, dass Holz künftig wirklich überall eingesetzt wird, wo dies möglich ist.“12)
Diese Hybridbauweise wird zum Beispiel eingesetzt, wenn es hoch hinaus gehen soll. Wie beim „Roots“, das in zwei Jahren in der Hamburger HafenCity fertiggestellt sein soll. „Wir wollten zeigen, dass man mit Holz auch in die Höhe bauen kann“, sagt Fabian von Köppen von Garbe Immobilien Projekte, dem Entwickler von Deutschlands höchstem Holzhochhaus im „Elbbrückenquartier“. Da, wo früher Docks und alte Lagerhallen standen, entsteht seit vergangenem Jahr das neunzehngeschossige, 65 Meter hohe Gebäude aus „Holz, Glas und Licht“, das vom Hamburger Architekturbüro Störmer Murphy und Partners entworfen wurde.
„Alle Obergeschosse werden mit Massivholzdecken und -innenwänden errichtet, nur Unter- und Erdgeschoss sowie die Erschließungskerne des Hybridbaus werden als Betonkonstruktion geplant.“ Das sei wegen der Nähe zur Elbe nötig gewesen, meint Köppen, „weil entgegen der Annahme ist nicht Feuer der schlimmste Feind für Holz, sondern Wasser“. Es sei wichtig, dass die Feuchtigkeit immer gut abtrocknen kann. Dann könne ein Holzhaus selbst Jahrhunderte altern.13)
„Ein Stadtquartier geht in die Höhe“, vermeldet die UTB Projektmanagment GmbH und meint das WoHo, „ein modernes, nachhaltiges Wohnhochhaus in Holz“, das ab dem Jahr 2026 in Berlin zwischen Anhalter Bahnhof, Tempodrom und Kanal stehen soll. „Mit stattlichen 98 Metern und 29 Etagen“ würde das Projekt das Hamburger Holzhochhaus um 33 Meter überragen.
Hoch, höher, am höchsten: Wie bei Wolkenkratzern aus Stahl und Beton gibt es inzwischen auch bei Holzhochhäusern einen Wettbewerb um Rekorde. Während in Brumunddal (Norwegen) mit 85 Metern das derzeit höchste Holzhochhaus der Welt steht, wird in den USA und Japan schon in anderen Dimensionen geplant. So soll in Chicago ein 280 Meter hohes Holzhochhaus die Skyline verändern und in Tokio ein Büroturm aus Holz und Glas entstehen, der den Wolken noch ein bisschen näher ist. 350 Meter soll der „Plyscraper“ W350 in den Himmel ragen.
Eine Herausforderung für die Planer, doch in der Holzbaubranche wird seit jeher genau vorgeplant, bevor es auf die Baustelle geht. Building Information Modeling (BIM) ist hier schon lange kein Fremdwort mehr. „Wir erstellen einen ,digitalen Zwilling‘ vorab mit einem BIM-Modell, bauen das Haus einmal komplett digital und zerlegen es in Teile, die wir in CNC-Fräsen herstellen lassen“, erklärt Fabian von Köppen den Bauprozess beim Roots. Die vorfabrizierten Teile würden dann auf die Baustelle geliefert, „dort werden sie wie Lego übereinandergeschichtet.“ Baubegleitende Planung sei nicht mehr möglich und auch nicht nötig. „Alles geht schneller und ist auch leiser“, schwärmt Köppen und ist sich sicher: „Das ist der Weg, wie wir unsere Städte nachverdichten können.“14)
„Alle sprechen von BIM, aber es wird noch zu wenig damit gearbeitet“, sagt Reinhard Müller, Zimmerermeister und Geschäftsführer vom Ingenieurholzbau-Unternehmen Müllerblaustein. „Wir Holzbauer sind seit 15 Jahren gewöhnt, dass wir alles dreidimensional planen und gewerkeübergreifend denken. Das ist BIM, wenn alle am selben 3D-Modell arbeiten“, so Müller, der das Interdisziplinäre hervorhebt: „Unsere Konstrukteure arbeiten mit der gleichen Software wie die Fachingenieure und Architekten. Wir brauchen diese fachübergreifenden, kollisionsfreien Planungen, weil es beim Holzbau extrem teuer ist, wenn wir auf der Baustelle zum Beispiel anfangen, Brandschutzdurchbrüche oder Installationsschächte zu verändern, weil sie zu klein sind.“15)
„Was mit ökologischen Nahrungsmitteln begann und dann die Öko-Textilien erfasst hat, betrifft nun auch das Wohnen.“ Fabian von Köppen, GF bei Garbe Immobilien Projekte
Holzbau ist Vorreiter, was digitale Planung angeht, und bringt die besten Voraussetzungen mit, die Digitalisierung des Bauwesens voranzutreiben. Und Holzbau könnte auch Antwort sein auf die Wohnungsnot in den Städten. „Fünfgeschossiger Wohnbau aus Holz ist die Zukunft“, prophezeit Müller.16) Und wird vom Immobilienentwickler Köppen bestätigt: „Wir arbeiten an einem Projekt, vier- bis fünfgeschossige Standardgebäude in Holz zu produzieren, ähnlich wie Fertighäuser, die ganze Siedlungen in den Speckgürteln um die Städte herum entstehen lassen könnten.“
Die Nachfrage sei da. „Was mit ökologischen Nahrungsmitteln begann und dann die Öko-Textilien erfasst hat, betrifft nun auch das Wohnen“, weiß Köppen. Die Leute seien bereit, für ein gutes ökologisches Produkt mehr Geld auszugeben.17)
Das bestätigt das Statistische Bundesamt: Im Jahr 2020 wurden 25.375 Baugenehmigungen (BG) für Wohnungen erteilt, die überwiegend mit Holz gebaut wurden. Das entspricht einem Fünftel aller Baugenehmigungen und sind 10.709 mehr als zehn Jahre zuvor. Bei Nichtwohngebäuden aus Holz, wie Büro- und Verwaltungsgebäuden, steigt die Zahl der Baugenehmigungen erst wieder seit 2015. Im Jahr 2020 (5.674 BG) wurde das Niveau von 2010 (6.085 BG) erreicht. Doch auch hier ist eine steigende Tendenz zu beobachten, weil der prozentuale Anteil bezogen auf alle Baugenehmigungen zuletzt höher war (21%) als im Jahr 2010 (19,6%).
Dass nicht längst viel häufiger mit Holz gebaut wird, sei „noch“ eine Frage des Geldes, sagt Klimafolgenforscher Schellnhuber. In Deutschland ein Haus aus Holz zu errichten sei 10 bis 15 Prozent teurer als eines aus Beton. Aber Schellnhuber erwartet, dass die Kosten sinken. Viele Schritte der Verarbeitung ließen sich automatisieren, ganze Segmente können per Roboter produziert werden, sodass Arbeiter einen Büroturm binnen Tagen vor Ort nur noch montieren müssten.18)
„Wenn wir das Holz zu modernen Baumaterialien verarbeiten und die Ernte und das Bauen klug managen, können wir Menschen uns ein sicheres Zuhause auf der Erde bauen.“ Hans Joachim Schellnhuber, Klimafolgenforscher und Gründer von „Bauhaus der Erde“
„Die Menschheit hat Holz für viele Jahrhunderte für Bauwerke genutzt, doch jetzt geht es angesichts der Herausforderung der Klimastabilisierung um eine völlig neue Größenordnung“, sagt der Professor, der die Initiative „Bauhaus der Erde“ mitbegründete, die sich zum Ziel gesetzt hat, die gebaute Umwelt nachhaltig zu verändern. „Wenn wir das Holz zu modernen Baumaterialien verarbeiten und die Ernte und das Bauen klug managen, können wir Menschen uns ein sicheres Zuhause auf der Erde bauen.“19)
Schellnhuber ist froh, dass sich etwas bewegt, und fühlt sich verstanden - besonders von einer Generation, die den Ernst der Klimalage begriffen hat und sich nicht damit abfinden will: „Vor 20 Jahren hätten wir gesagt, pubertierende 14- oder 15Jährige drehen die Musik lauter, wenn die Welt zugrunde geht, damit sie‘s nicht hören müssen. Und jetzt sind sie diejenigen, die uns an die Vernunft erinnern. Das ist doch fantastisch!“20)
Quellennachweise:
1 - 3) Podcast „Auf Holz bauen“, Folge 1, 14.5.2021 & Folge 2, 9.7.2021
4) Klimaforscher treibt „Bauhaus der Erde“ voran, Immo Zeitung, 21.10.21
12) Aus Holz gebaut, NZZ, 17.10.21
13 – 14, 17) „HafenCity auf dem Holzweg“ | „Was wird aus Hamburg? Der Podcast für Stadtentwicklung“, 6.5.2021
15 - 16) Podcast „Auf Holz bauen“, Folge 3, 23.11.2021
18) Baumhäuser sind die neuen E-Autos, WiWo, 6.11.20
20) "Ich finde, es wäre doch schad' um uns", Rundschau für den Schwäbischen Wald, 10.1.2022
Bildnachweise:
Pandora Film Medien GmbH (Thoma), Garbe Immobilien Projekte (Roots), Mad arkitekter (WoHo), Sven Erik Hoff - Frich's Management AS / Ian Brodie Photo (Wood Hotel), ots (HoHo), Sumitomo Forestry & Nikken Sekkai (W350), FWStudio/Pexels (Infografik)
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